RA Dr. Peter de Bra, Partner, Schultze & Braun, Achern
In den letzten Jahren hat der BGH den Anwendungsbereich der
Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) durch seine Rechtsprechung stark
ausgedehnt, indem er den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners
und die Kenntnis des Gläubigers davon bereits aus einer Vielzahl
verschiedener Indizien folgerte. Ein solches Indiz ist etwa der Umstand,
dass der Schuldner Verbindlichkeiten bei dem späteren Anfechtungsgegner
über einen längeren Zeitraum hinweg in beträchtlichem Umfang nicht
ausgeglichen hat (siehe etwa BGH vom 27.05.2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155
S. 85 =
DB 2003 S. 2171).
Dies führte dazu, dass Lieferanten, die der Schuldner nur stockend
bezahlt hat und/oder die dem Schuldner Ratenzahlungen bewilligt
hatten.unter Umständen bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht nur
einen beträchtlichen Ausfall zu verzeichnen hatten, sondern darüber
hinaus dann vom Verwalter auch noch auf Rückzahlung der erhaltenen
(Teil-)Zahlungen in Anspruch genommen wurden. Dies hat in der Wirtschaft
(siehe etwa Positionspapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie
(BDI) und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), ZInsO
2013, 2312) und teilweise auch der Wissenschaft (siehe etwa Bork, ZIP
2008, 1041) zu erheblicher Kritik geführt.
Referentenentwurf des Bundesjustizministerium
Nunmehr hat das Bundesjustizministerium kürzlich einen Referentenent-
wurf „
eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach
der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“
vorgelegt, der das Anfechtungsrisiko für die Geschäftspartner in
gewissen Fällen einschränken soll. Insbesondere handelt es sich dabei um
folgende Fälle:
Befriedigung durch Zwangsvollstreckung als kongruente Deckung
Die Rechtsprechung hatte bislang durch Zwangsvollstreckung erlangte
Sicherheiten oder Befriedigungen als „inkongruent“ und damit als
erleichtert anfechtbar angesehen. Das Bundesjustizministerium will für
die Zukunft nunmehr ausdrücklich festschreiben, dass allein die
Tatsache, dass der Gläubiger die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung
auf der Grundlage eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten
vollstreckbaren Titels erwirkt hat, keine erleichterte Anfechtung als
„inkongruent“ begründet. Der Verweis auf den „in einem gerichtlichen
Verfahren erlangten Titel“ führt dabei dazu, dass die Finanzämter und
Sozialversicherungsträger, die in der Lage sind, selbst vollstreckbare
Titel ohne gerichtliches Verfahren zu schaffen, von dieser
Privilegierung nicht betroffen sind.
Begrenzung der Anfechtung bei vereinbarungsgemäßer Leistungserbringung
Soweit kongruente Deckungshandlungen betroffen sind – also
Handlungen, durch die ein Gläubiger für eine bestehende Forderung eine
Sicherheit oder eine Befriedigung erlangt – soll die Vorsatzanfechtung
gemäß § 133 InsO im Regelfall nur dann durchgreifen können, wenn der
Gläubiger zur Zeit der Rechtshandlung positiv wusste, dass der Schuldner
zahlungsunfähig war. Für sämtliche Deckungshandlungen wird der
Anfechtungszeitraum auf die letzten vier Jahre vor
Insolvenzantragstellung reduziert. Bei sonstigen (nicht
Deckungs-)Rechtshandlungen verbleibt es hingegen bei dem
Zehnjahreszeitraum der bisherigen Fassung des § 133 Abs. 1 InsO. Zudem
hat bereits die „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ indizielle Bedeutung
für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.
Benachteiligungsvorsatz und Ratenzahlungsvereinbarung
Ausdrücklich festgeschrieben werden soll ferner, dass die Kenntnis
des anderen Teils vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht
allein daraus abgeleitet werden kann, dass der Schuldner den anderen
Teil im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um eine
Zahlungserleichterung gebeten hat oder der andere Teil mit dem Schuldner
eine Zahlungsvereinbarung nach § 802b Abs. 2 Satz 1 der
Zivilprozessordnung abgeschlossen hat.
Hinsichtlich jeglicher Rechtshandlung, die gemäß § 133 InsO
angefochten werden soll, wird festgeschrieben, dass dies nur dann
möglich ist, wenn der Schuldner versucht, durch die Rechtshandlung seine
Gläubiger „unangemessen“ zu benachteiligen. Eine solche Benachteiligung
liegt dabei nach Vorstellung des Referentenentwurfes dann nicht vor,
wenn für eine Leistung des Schuldners unmittelbar eine gleichwertige
Gegenleistung in sein Vermögen gelangt ist, die zur Fortführung seines
Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarf erforderlich ist
oder die Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs
ist.
Bargeschäftsprivileg bei der Vergütung von Arbeitnehmern
Bezüglich der Vergütung von Arbeitnehmern soll die (umstrittene, s. etwa BGH vom 10.07.2014 – IX ZR 192/13,
DB 2014 S. 1731) Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. dazu Zwanziger in
DB 2014 S. 2391 und Klinck in
DB 2014 S. 2455)
gesetzlich festgeschrieben werden. Die Entgeltzahlung wird künftig ein
die Anfechtung ausschließendes Bargeschäft sein, wenn der Zeitraum
zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgeltes drei Monate
nicht übersteigt. Der BGH hat demgegenüber einen Zeitraum von maximal 30
Tagen für tolerabel gehalten (s. etwa zuletzt 10.07.2014 – IX ZR
192/13,
DB 2014 S. 1731,
Rz. 71). Es wird aber auch allgemein bestimmt, dass bei der Beurteilung
des für das Bargeschäft erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhangs
die „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ zu berücksichtigen sind.
Verzinsungspflicht des Rückgewähranspruchs
Schließlich soll festgeschrieben werden, dass entgegen der bisherigen
Rechtsprechung eine Verzinsungspflicht der durch den Insolvenzverwalter
im Anfechtungswege eingeforderten Geldsumme nur nach allgemeinen
Verzugsgrundsätzen besteht. Der Gläubiger hat daher die vom
Insolvenzverwalter zurückgeforderte Summe in aller Regel erst ab dem
Zeitpunkt einer entsprechenden Mahnung des Verwalters bzw. der
Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu verzinsen. Bislang bestand
nach der Rechtsprechung des BGH ein Verzinsungsanspruch bereits seit dem
Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ohne dass es auf einen
Verzugseintritt ankam.
Konsequenterweise will der Referentenentwurf die entsprechenden
Vorschriften des Anfechtungsgesetzes, die die Anfechtung durch einen
Gläubiger außerhalb eines Insolvenzverfahrens regeln, entsprechend
ändern.
Auswirkungen für die Praxis
Sollte der Referentenentwurf in dieser Form umgesetzt werden, so wird
dies für die Geschäftspartner eines insolventen Unternehmens die
Gefahren der Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter jedenfalls
mindern. Vor zu großen Hoffnungen ist jedoch zu warnen. Die
Insolvenzanfechtungsvorschriften enthalten weiterhin genügend durch die
Rechtsprechung zu füllende unbestimmte Rechtsbegriffe, sodass genügend
streitige Fälle übrigbleiben werden.
Im Übrigen sollte bei einer Würdigung der gesetzgeberischen
Initiative immer bedacht werden, dass sich die Neuregelungen zwar
zugunsten des einzelnen Gläubigers auswirken werden, der vor
Insolvenzeröffnung noch eine Leistung seitens des Schuldners erhalten
hat. Auf der anderen Seite wird genau dies sich naturgemäß zulasten
sämtlicher anderer Gläubiger auswirken, zu deren gleichmäßigen
Befriedigung dann diese dem einzelnen Gläubiger zugute gekommene
Leistung gerade nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
So oder so werden die Gesetzesänderungen erst für die Zukunft gelten.
Der derzeitige Referentenentwurf stellt dabei auf den Zeitpunkt des
Inkrafttretens der Gesetzesänderung ab. Die neuen Bestimmungen – so sie
denn kommen sollten – werden für diejenigen Insolvenzverfahren gelten,
die am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes oder später eröffnet werden.
Für die vorher eröffneten Insolvenzverfahren bleibt es bei den
bisherigen Regelungen.
Quelle:
http://blog.handelsblatt.com/rechtsboard/2015/04/17/einschrankung-des-insolvenzanfechtungsrechts-ante-portas/