Montag, 2. November 2015


Insolvenzanfechtung: Gesetzesreform erklimmt die nächste Stufe

Die Bundesregierung hat am 29.09.2015 den Gesetzesentwurf zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts beschlossen. Erklärtes Ziel ist eine bessere Lastenverteilung zugunsten der Wirtschaft und der Arbeitnehmer. Wirtschaftsverbände wie der BDI übten zuletzt Kritik an der Praxis und den Auswirkungen des Insolvenzanfechtungsrechts. Die Risiken eines Insolvenzanfechtungsanspruchs seien unkalkulierbar und die Belastung für den Wirtschaftsverkehr und für Arbeitnehmer unverhältnismäßig geworden.

Das Bundesjustizministerium hat diese Kritik aufgenommen und das Anfechtungsrecht einer  Neujustierung unterzogen. Am 16.03.2015 wurde zunächst der Referentenentwurf zur Reform des Anfechtungsrechts vorgestellt und zur Diskussion gestellt (de Bra, Handelsblatt Rechtsboard vom 17.04.2015). Mit dem Regierungsentwurf vom 29.09.2015 hat die Reform der Insolvenzanfechtung die nächste Stufe erklommen.
Kernpunkte des Regierungsentwurfs
Der Regierungsentwurf enthält dabei etliche Änderungsvorschläge, die bereits im Referentenentwurf enthalten waren: 
  • die Verkürzung des Anfechtungszeitraums der Vorsatzanfechtung von 10 auf 4 Jahre  bei Deckungshandlungen (§ 133 Abs. 2 InsO-E),
  • die Eingrenzung der gesetzlichen Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die Kenntnis der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit (§ 133 Abs. 3 Satz 1 InsO-E),
  • die negative Vermutungsregelung über die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit im Falle einer Zahlungsvereinbarung (§ 133 Abs. 3 Satz 2 InsO-E),
  • die Erweiterung des unmittelbaren Leistungsaustausches im Rahmen des Bargeschäfts auf drei Monate bei der Anfechtung von Arbeitsentgelt und
  • die Einschränkung der Verzugszinsen auf die gesetzlichen Regelungen des Schuldnerverzugs und des § 291 BGB (§ 143 Abs. 1 Satz 3 InsO-E).
Das Merkmal der Unangemessenheit wurde dagegen nicht weiter verfolgt. Der Referentenentwurf vom 16.03.2015 sah vor, dass sich der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zukünftig auf eine unangemessene Gläubigerbenachteiligung beziehen sollte. Das Merkmal der Unangemessenheit ist im Regierungsentwurf nicht mehr enthalten.
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung stellen keine inkongruente Deckung mehr dar
Eine weitergehende Änderung hat der Tatbestand des § 131 InsO erfahren. Die Inkongruenz nach § 131 Abs. 1 InsO soll zukünftig nicht mehr aus Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abzuleiten sein. Der Regierungsentwurf sieht – anders als noch der Referentenentwurf – keine Beschränkung auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vor, die auf Grundlage eines gerichtlich erwirkten Titels durchgeführt werden. Auch selbst erwirkte Titel von Finanzämtern und Krankenkassen sowie vom Schuldner eingeräumte Titel wie notarielle Schuldanerkenntnisse fallen damit unter den Ausschluss. Eine Anfechtung unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 InsO soll aber weiterhin möglich sein.
Änderungen beim Bargeschäftseinwand
Eine weitere Einschränkung sieht der Regierungsentwurf auch beim Bareinwand nach § 142 InsO vor. Rechtshandlungen, für die der Schuldner unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung erhält, sind bislang unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Dies soll zukünftig nur unter folgenden Prämissen gelten: zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 133 InsO-E muss der Schuldner unlauter handeln und der spätere Anfechtungsgegner muss Kenntnis vom unlauteren Handeln haben (§ 142 Abs. 1 InsO-E).
Eine unlautere Handlung soll nach der Begründung des Regierungsentwurfes bspw. dann vorliegen, wenn der Schuldner Vermögen für Leistungen verschleudert, die den Gläubigern unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt nutzen können, wie bei flüchtigen Luxusgütern.
Keine unlautere Handlung liegt dagegen nach der Entwurfsbegründung vor, wenn der Schuldner Geschäfte führt, die allgemein zur Fortführung des Geschäftsbetriebs erforderlich sind. Dies soll auch dann gelten, wenn der Schuldner erkennt, dass die Betriebsfortführung verlustträchtig ist.
Insolvenzantragstellung
Eine weitere Neuerung soll zudem bei der Insolvenzantragstellung gelten. Zukünftig soll der Insolvenzantrag eines Gläubigers nicht mehr unzulässig sein, wenn der Schuldner die Forderung des Gläubigers erfüllt. Bislang gilt das nur für einen sog. Zweitantrag, der innerhalb von zwei Jahren auf einen vorherigen Insolvenzantrag folgt. Eine entsprechende Änderung sehen § 14 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO-E vor. Schließlich enthält der Regierungsentwurf auch zu § 143 Abs. 1 InsO den weitergehenden Ausschluss von Nutzungsersatz.
 Fazit
Der Regierungsentwurf enthält zahlreiche Regelungen, denen die Zielrichtung, das Anfechtungsrecht einzugrenzen und für den Wirtschaftsverkehr planbarer zu machen, deutlich zu entnehmen ist. Die Auswirkungen für die Praxis bleiben aber abzuwarten. Dies gilt insbesondere für die Verkürzung des Anfechtungszeitraums nach § 133 Abs. 1 InsO, denn tatsächlich dürften Vorsatzanfechtungen, die länger als 4 oder 5 Jahre zurückreichen, die Ausnahme bilden.
Auch die Regelung zu Ratenzahlungsvereinbarungen lässt Fragen offen. Dass geschäftsübliche Ratenzahlungsvereinbarungen nicht per se ein Indiz für die Zahlungseinstellung sind, hat der BGH  jüngst klargestellt (BGH, Beschluss vom 16.04.2015 – IX ZR 6/14, DB 2015 S. 1034). Der Regierungsentwurf geht offensichtlich einen Schritt weiter. Eine Einschränkung auf geschäftsübliche Ratenzahlungsvereinbarungen sieht der Entwurf nicht vor. Ratenzahlungsvereinbarungen treten aber selten ohne begleitende Krisenindikatoren auf, die auch weiterhin im Rahmen der Gesamtwürdigung des Gerichts zu werten sein werden. Wo die Grenze der negativen Vermutungsregelung zu ziehen sein wird, dürfte zukünftig die Gerichte beschäftigen.
Weiterhin gilt zudem, dass die Regelungen, wenn sie in dieser Fassung Eingang in die Insolvenzordnung finden, für Insolvenzverfahren gelten, die nach Inkrafttreten der neuen Regelungen eröffnet werden.

Quelle: http://blog.handelsblatt.com/rechtsboard/2015/10/26/insolvenzanfechtung-gesetzesreform-erklimmt-die-nachste-stufe/